Adventstürchen 8.12.2021

Santas Gehilfe

„Was ist denn da draußen zu sehen. Es ist Zeit fürs Bett. Du weißt, dass Santa erst kommt, wenn alle schlafen.“ Ich stelle mich neben meinen Sohn, der mit seinem Gesicht regelrecht an der Fensterscheibe klebt. Vermutlich wartet er bereits jetzt auf Santa und seine Rentiere. Es ist heiliger Abend und die Straßen verhältnismäßig leer. Für mich gibt es nichts Spannendes zu sehen. Mein Sohn aber kann seinen Blick einfach nicht losreißen.
„Mommy? Santa kriegt doch von vielen Kindern Kekse und Milch, oder?“
Ich verstehe nicht, auf was er hinaus will. „Sicher. Von den braven Kindern auf jeden Fall.“
„Meinst du, er ist böse auf mich, wenn er von mir keine bekommt?“
„Aber du hast heute doch ganz leckere Kekse gebacken. So viele, die kannst du unmöglich alle allein essen.“
„Das will ich auch gar nicht. Aber guck mal. Der Mann da drüben ist ganz allein an Heiligabend. Und er sieht so traurig aus. Über ein paar Kekse und Milch würde er sich sicher freuen.“
Nun weiß ich, wohin mein Sohn die ganze Zeit starrt. Im Schutz des Vordachs einer Boutique sitzt ein Obdachloser. Die wenigen Passanten, die noch unterwegs sind, beachten ihn gar nicht. Als wäre er unsichtbar. Und ich beginne mich zu schämen, dass ich ihn auch nicht wahr genommen hätte, hätte mein Sohn mich nicht darauf aufmerksam gemacht. „Das würde er sicher. Zieh dir etwas über. Wir bringen ihm die Kekse und die Milch.“

Kurz darauf überqueren wir die Straße und bringen dem Mann neben Keksen und Milch, auch eine kuschelige Wolldecke und einen Wintermantel meines Mannes, den er ohnehin nicht mehr trägt. Als mein Sohn ihm all die Dinge überreicht, findet der Obdachlose keine Worte. Doch das braucht er auch nicht. Der Ausdruck seiner Augen spricht Bände. „Frohe Weihnachten“, bringt er mit zittriger Stimme und Tränen in den Augen hervor. Ich kann mich nicht erinnern, jemals zuvor so viel Dankbarkeit in dem Gesicht eines Menschen gesehen zu haben.
„Ihnen auch eine frohe Weihnacht.“
Wir verabschieden uns und kehren zurück in unsere Wohnung, wo uns bunte Lichter, wohlige Wärme und der Duft von Keksen empfängt. Bewusst nehme ich all das wahr und bin dankbar, so gesegnet zu sein. Vor allem aber bin ich stolz, ein Kind zu haben, dass nicht mit Scheuklappen durch die Welt geht. Ich hoffe, dass er sich sein reines Herz bewahrt und dass ich mir ein Beispiel an ihm nehme.
„Meinst du, Santa wird enttäuscht sein, wenn er keine Kekse findet?“
Ich schüttele den Kopf und versuche die Tränen wegzublinzeln, die mir in die Augen treten. „Nein mein Schatz. Er wird unendlich stolz sein, dass du ihm heute Nacht geholfen hast, einen weiteren Menschen glücklich zu machen.“
Wir blicken beide noch einmal zu dem Obdachlosen, der sich in die Decke gekuschelt hat. Mein Sohn winkt ihm zum Abschied, dann schließe ich die Jalousien. „Zeit fürs Bett.“

Kurzgeschichte von Mailin